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  Kurzkrimis Wer das letzte Wort hat...

Als sich August Werklinger an jenem Morgen im Spiegel betrachtete, fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. So sieht also ein Mörder aus, dachte er und starrte sich an, ein ältlicher Mann im gestreiften Pyjama, etwas dicklich und schlaff, noch unrasiert heute und mit übernächtigten Augen. Und nun begegnete er seinem eigenen gequälten Blick - musste es wirklich sein? Ein Mord, so etwas kannte er bisher nur aus dem Fernsehen, von den Krimis, die seine Frau so sehr liebte. August Werklinger war eigentlich ein sanftmütiger Mensch, Gewalt war ihm zutiefst zuwider; doch nun konnte er sie nicht länger ertragen, keinen Tag mehr, seine ganze Gutmütigkeit war endgültig erschöpft. Er würde zur Tat schreiten, ja, nur einmal wollte er das letzte Wort behalten und sich nicht vor ihr ducken müssen!

Seine Frau Elfriede ahnte während- dessen nichts von solcherlei Gedanken. Wie gewohnt saß sie im Schlafzimmer und beschäftigte sich mit ihren Fingernägeln. "Gustl," rief sie mit ihrer dröhnenden Stimme zu ihm ins Bad, "mach doch die Musik bei dir etwas leiser, ja?!" Worauf sofort sein übliches "aber ja, Hasilein!" zurückklang. Auch heute würde er ihr brav gehorchen, er würde seine Hausarbeit verrichten und ihr schließlich abends, wie gewohnt, die Crème-Schnittchen vorsetzen, die schon im Kühlschrank bereitstanden, von seiner geübten Hand geschickt zubereitet - nur diesmal war die zarte Füllung ein klein wenig abgewandelt...

Elfriede Werklinger war mit dem Lackieren ihrer Fingernägel(heute Bonbon-Rosa) fertig und erhob sich ächzend. Ihre Vollschlankheiterlaubte ihr nur träge Bewegungen, weshalb sie auch Hausarbeit und Küche lieber ihrem Mann überließ. Und seine kulinarischen Werke ließen sich durchaus genießen, die verheerenden Auswirkungen auf ihre Figur waren unübersehbar. Trotzdem wurde er ihr allmählich lästig; immer dieses kriecherische "aber ja, Hasilein", diese ängstlichen Blicke, ein schwächlicher Leisetreter, ja das war er, ein Versager, und sie war ihn satt. Scheidung? Auf keinen Fall, sie hätte ihm womöglich die Hälfte ihres Vermögens auszahlen müssen, ausgeschlossen! Nein, es gab andere Möglichkeiten der Trennung, und sie hatte die billigste, einfachste gefunden. Keiner würde ihr auf die Schliche kommen...

Kommissar Eberlein sah sich mit einem gewissen Befremden in dem protzigen Wohnzimmer um - zwar war er hergekommen, um einen Todesfall zu untersuchen, doch fühlte er sich ziemlich abgelenkt von seiner Arbeit, irritiert durch das pinkfarbene Ledersofa, die zartrote Tapete und den Teppichboden in Rosa. Sein Magen krampfte sich noch mehr zusammen, als schließlich Elfriede Werklinger im fleischfarbenen Morgenrock ins Zimmer trat, um sofort auf das Sofa zu sinken, schluchzend. "Oh mein Gott, dabei war er doch sonst immer so vorsichtig!" konnte der Beamte gerade noch verstehen, bevor sie sich endgültig ihren Tränen hingab. Der Fall war eigentlich klar, eine Routinesache: Unfall durch Stromstoß, der arme Mann hatte offensichtlich das Radio in die Badewanne gezogen, ein Versehen, so etwas kommt vor. Daher konnte Martin Eberlein das nötige Protokoll schonend schnell abfassen, um die Frau mit ihrem Schmerz allein zu lassen. Mord kam hier wohl nicht in Frage, es lag auch kein Motiv vor. Der schon etwas betagte Polizeibeamte war froh, die Villa bald wieder verlassen zu können.

Elfriede Werklinger blickte ihm noch ein Weilchen durchs Fenster nach. Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus; sie wischte sich die Tränen ab und begab sich in die Küche. Ein Gefühl von Triumph stieg in ihr hoch, während sie den Kühlschrank öffnete, um sich endlich ihren geliebten Crème-Schnittchen widmen zu können. Der arme Gustl, wenigstens das hatte er gekonnt, der Versager, und heute hatte er ihr sogar extra eine wunderschöne rosa Füllung gemacht! Genüsslich setzte sie sich aufs Sofa, die Kuchenplatte in der Hand...