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  Kurzkrimis Wem das Stündlein schlägt

Vom Kirchenturm klangen drei dumpfe Glockenschläge, und ein leichter Wind strich über die nächtlichen Gärten. Sie fröstelte in dem leichten Sommerkleid, das sie noch von der Feier angelassen hatte. Mit zitternden Händen schloss sie die Kellertür auf, der Schlüssel entglitt ihr fast, nur kein Geräusch machen; sie vermied das wohlbekannte Knarren der Tür, achtete auch auf das Hundefutter gleich neben dem Eingang, das Tier musste wohl im Garten auf der anderen Seite sein. Sie tastete sich durch den Raum und ihr Herz hämmerte ihr so laut in den Ohren, dass sie sich fast dadurch zu verraten fürchtete. Die Angst, entdeckt zu werden, schnürte ihr die Kehle zu. Wenn er nun aufwachte! Würde er jetzt die Tür zum Keller aufmachen, voller Misstrauen gegen die häufigen Einbrüche in der Nachbarschaft, und voller Hass gegen die Welt und vor allem gegen sie, seine Frau ?? alles wäre verloren, niemals könnte sie ihr Handeln erklären, schon gar nicht seine Pistole in ihrer unsicheren Hand!

Elise Petzlaff lehnte sich gegen die kalte Kellerwand und schloss für einen Moment die Augen, bis sich ihr Atem beruhigte und nur noch die nächtliche Stille in ihren Ohren klang. Ihr Blick fiel dann auf den zusammengeklappten Liegestuhl, den sie selbst erst vor wenigen Stunden hierher gebracht hatte; und sie sah ihn in Gedanken vor sich, ihren Mann, Erwin Petzlaff, wie er da im Liegestuhl gelegen hatte, dickbäuchig und selbstzufrieden, der Schweiß war an ihm heruntergelaufen an diesem glühenden Sommertag. Und die Erinnerung an sein Gezeter stieg wieder in ihr auf, "der Sonnenschirm ist zu niedrig", "Elise, der Saft ist ja ganz warm, die Plärre kann doch keiner trinken", und "wo bleibt denn mein Sonnenöl"... Diese Erinnerungen gaben ihr schließlich die Kraft, die Waffe fester zu packen und langsam die Kellertreppe hinaufzusteigen. Fast wünschte sie nun, er könnte sie jetzt sehen, einmal mutig und voller Wut, die sie in all den Jahren hinuntergeschluckt hatte; immer hatte er sie verachtet, herumkommandiert, angeschrieen, und Elise als brave Ehefrau hatte ihrem Erwin verängstigt gehorcht.

Ein lautes Knirschen durchdrang plötzlich die Stille, als sie auf einige Glassplitter trat. Damit hatte sie nicht gerechnet! Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn und ihr Magen krampfte sich zusammen. Vor ihrem geistigen Auge tauchte schon die Schlagzeile in der Zeitung auf: "Ehefrau lauert ihrem Mann im Keller auf" oder etwas in der Art. Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Im ganzen Haus eine Totenstille, und auch vom Garten drang kein Laut herein. Zögernd ergriff sie die Türklinke, der Mut hatte sie schon fast wieder verlassen und Panik wollte sie ergreifen. Doch nur noch wenige Schritte trennten sie von ihrem Ziel, es gab kein Zurück mehr!

Was das Alibi betraf, so konnten die Freundinnen ihren Aufenthalt im Hotel bestätigen, niemand hatte sie gehen sehen, und dass sie, die dünne, blässliche Frau mit den ergrauenden Haaren, das kleine Motorboot über den See steuern konnte, traute ihr ohnehin keiner zu. Die Autofahrt vom Hotel bis zu ihrem Haus hätte viel zu lange gedauert, so dass keiner sie verdächtigen konnte. So versuchte sich Elise zu beruhigen, während sie langsam die Tür aufschob; der abgestandene Zigarrenqualm lag noch in der Luft. Die Uhr im Wohnzimmer tickte stumpf vor sich hin. Auf der Kommode lag noch Bellas Hundehalsband, und wieder wanderten Elises Gedanken zurück zum Nachmittag im Garten...

Wahrscheinlich hätte sie auch heute wieder alles schweigend hingenommen ?wenn er nicht diesmal zu weit gegangen wäre: dass er Bella, die sanfte goldgelbe Dogge mit ihrem ewig traurigen Hundeblick, Elises Trost in so vielen düsteren Stunden, dass er sie so brutal getreten und angeschrieen hatte, nur weil sich das Tier im Garten neben seinen Liegestuhl legen wollte ? ? das konnte Elise ihrem Mann nicht mehr verzeihen. "Stinkendes Hundevieh, hau ab, zurück in deine Hütte", hatte er gebrüllt, und Bella war mit hängendem Kopf und eingezogenem Schwanz verschwunden und nicht mehr zum Vorschein gekommen. "Die Töle wird jetzt endgültig abgeschafft, ein Wachhund muss scharf sein und kein solcher Jammerlappen, ganz wie's Frauchen, ist ja zum..." Die letzten Worte von Erwin hatte sie dann nicht mehr gehört, weil sie einfach ihre Sachen holen gegangen war. Und nun war sie wiedergekommen. Sie stand vor seiner Schlafzimmertür und war bereit, ihn mit seiner eigenen Waffe für immer von seiner Boshaftigkeit abzuhalten, und um ihn für seine Grausamkeiten zu bestrafen.

Sie stieß die Tür auf, heftig, sie schaltete blitzschnell das Licht ein und richtete die Pistole auf das Bett und erstarrte plötzlich. Das Bett war leer. Panik ergriff sie. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, und sie schrie laut auf, als er sie von hinten packte und im Polizeigriff festhielt. "Was ist denn das für eine lächerliche Einbrecherin", höhnte Erwin und schob sie grob zum Hauseingang. "Das wird die Polizei aber interessieren!" Und ohne eine Erklärung Elises abzuwarten, zerrte er seine völlig verängstigte Frau zum Auto. Plötzlich geschah alles sehr schnell. Ein riesiger Schatten flog durch die Luft und Erwin Petzlaff ging röchelnd zu Boden. Der Hund lag noch auf ihm, als er sich schon nicht mehr bewegte, erst dann trottete Bella sanft zu ihrem Frauchen und blickte melancholisch zu ihr hoch. Elise Petzlaff lehnte sich zitternd an die Hauswand, bevor sie ins Haus ging, um die Polizei anzurufen und den Unfall zu melden. Vom Kirchturm schlug es halb vier. Die ersten Vögel begannen zu zwitschern und Elise empfand Frieden.